Antworten von Bündnis 90/Die Grünen auf die Wahlprüfsteine des bvdm anlässlich der Bundestagswahl 2021
1. Deutschland gehört zu den OECD-Staaten mit den höchsten Unternehmenssteuern und Sozialabgaben. Dies senkt die Wettbewerbsfähigkeit; insbesondere von KMU. Wie planen Sie angesichts des hohen Post-Corona-Investitionsbedarfs KMU zu entlasten und dabei die Sozialversicherung leistungsfähig zu halten?
Mit einer Investitionsoffensive in Klimaschutz, Digitalisierung und moderne Infrastrukturen wollen wir GRÜNE die Konjunktur anschieben und die Investitionskraft der Unternehmen stärken. Bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen und Selbständigen sind nach Monaten der Krise die Reserven völlig aufgebraucht. Wir wollen es den Unternehmen ermöglichen, ihre Corona-Verluste mit den Gewinnen der letzten 4 Jahre (derzeit ist dieser Verlustrücktrag auf 1 Jahr begrenzt) zu verrechnen. Diese Unternehmen erhalten dann die in den Vorjahren gezahlten Steuern erstattet. Das hilft vor allem KMU, die z.B. wegen Schließungen sehr hohe Verluste hatten beim Neustart. Wir wollen ein einfaches Restrukturierungsverfahren für KMU vor der Insolvenz einführen, damit diese z.B. langfristige Mietverträge neu aushandeln können. Bei diesem Neustart soll auch unser Gründungskapital von 25.000 Euro unterstützen.
2. Wie wollen Sie den für die digitale Transformation erforderlichen flächendeckenden Breitbandzugang forcieren und sich dafür einsetzen, dass Datenübermittlungen in die USA nach dem Aus des „Privacy Shield“ wieder in praktikabler Weise rechtssicher möglich sind?
Wir GRÜNE wollen das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau so anpassen, dass die Förderung dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird: in den Regionen, wo heute noch nicht einmal 30 MBit/sec. zur Verfügung stehen. Das Recht auf schnelles Internet wollen wir durchsetzungsstark ausgestalten - auch für kleine und mittlere Unternehmen. Dass der EuGH „Privacy Shield“ für ungültig erklären würde, hatte sich lange abgezeichnet. Dies ist das Resultat einer kurzsichtigen Politik, die offensichtliche Probleme über Jahre hinweg leugnete, statt sie aktiv anzugehen. Eine Kehrtwende beim transatlantischen Datenaustausch ist längst überfällig. Hierfür braucht es Gründlichkeit und den intensiven Austausch. Wir werden uns weiter für klare und tragfähige Rechtsgrundlagen sowie ein Ende der ausufernden Nutzung personenbezogener Daten einsetzen, um Grundrechte effektiv zu schützen und die nötige Rechtssicherheit herzustellen.
3. Inwieweit werden Sie sich gegen Beschränkungen und Verbote von Werbung für legale Produkte und gegen eine Umstellung des seit Jahrzehnten bewährten Systems der Briefkastenwerbung (Opt-out zu Opt-in) einsetzen?
Werbung ist Teil der Unternehmenskommunikation und kann zur Information der Verbraucher*innen beitragen. Ausschlaggebend ist, dass Verbraucher*innen durch Werbeaussagen und Produktaufmachungen nicht getäuscht werden und Kinder- und Jugendschutz Vorrang vor Wirtschaftsinteressen haben. Daher setzen wir uns im Bereich der Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, für klare Regeln ein, die sich an den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation orientieren. Hinsichtlich unadressierter Briefkastenwerbung ist unser Ziel, dass sie nicht ungelesen im Müll landet, sondern nur noch von den Menschen empfangen wird, die sich wirklich dafür interessieren. Dafür gibt es für uns verschiedene Optionen – von der Bekanntmachung der derzeitigen Opt-out-Möglichkeit bis hin zu einem Opt-in-Verfahren –, die wir in Zusammenarbeit mit den betroffenen Organisationen und Verbänden prüfen und diskutieren wollen.
4. Berichtspflichten, EU-Taxonomie und aufwändiges Vergaberecht belasten KMU zunehmend. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass durch immer komplexer werdende Nachhaltigkeitsanforderungen insbesondere KMU nicht abgehängt werden?
Veränderungen stellen KMU vor besondere Herausforderungen. Darum müssen Vorschriften der Größe der Unternehmen angemessen sein und sinnvoll angewendet werden. So senkt der Entwurf für die Novelle der CSR-Richtlinie die Schwelle auf 250 Mitarbeiter*innen ab und erfasst damit zunehmend auch mittlere Unternehmen. Diesen muss ausreichend Zeit zur Umsetzung gewährt und es sollen ihnen nur vereinfachte Berichtspflichten auferlegt werden. Eine um Nachhaltigkeitskriterien erweiterte Berichterstattung ermöglicht, Risiken bei Investitionen in fossile Energien zutreffender einzuschätzen sowie wirtschaftliche Chancen frühzeitig zu erkennen. Die EU-Taxonomie soll so ausgestaltet werden, dass sie Unternehmen beim Transformationsprozess zielgerichtet unterstützt. Vergabeverfahren wollen wir GRÜNE vereinfachen. Ausschreibungen, Plattformen für nachhaltige Beschaffung und Vergabe müssen über die Bundesländer hinweg vergleichbar sein, damit insbesondere KMU nicht schon formal an der Ausschreibung scheitern.
5. Wie wollen Sie die derzeitigen rechtlichen und bürokratischen Hürden in der Eigenenergieerzeugung abbauen, um die dezentrale Energieversorgung zu fördern und den rentablen und einfachen Betrieb von Eigenstromversorgungsanlagen für KMU zu gewährleisten?
Wir GRÜNE wollen, dass es sich für die Unternehmen lohnt, mit flexiblem Stromverbrauch auf die Preissignale der Strombörse und somit auf die Verfügbarkeit von Wind und Sonne im allgemeinen Strommarkt zu reagieren. Damit unterstützen sie zugleich die Energiewende. Um die Stromnachfrage stärker netz- und systemdienlich zu flexibilisieren, wollen wir den Anteil von Umlagen und Entgelten am Strompreis stärker dynamisieren. Zum Beispiel soll in Zeiten mit viel Wind- und Sonnenstrom im Netz die EEG Umlage sinken und über Netzentgelte die Netzausnutzung optimiert werden. Grundsätzlich wollen wir den Bau von Windenergieanlagen auch in direkter Nähe zu Industrie und Gewerbe unterstützen, um Strom dort zu produzieren, wo er gebraucht wird.
6. Flexiblere Arbeitszeitregelungen, befristete Arbeitsverhältnisse und Tarifautonomie sind zentral, um Beschäftigung aufzubauen und zu sichern. Wie wollen Sie Gestaltungsspielräume der Tarifpartner stärken und den Rahmen für flexible Arbeit gestalten?
Wir GRÜNE setzen uns für attraktive Arbeitsbedingungen und Löhne ein - auch um dem sich anbahnenden Fachkräftemangel zu begegnen. Entsprechend wollen wir dafür sorgen, dass die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten bei Arbeitszeit und Arbeitsort unter Berücksichtigung betrieblicher Möglichkeiten ausgebaut werden. Zudem halten wir eine flächendeckende Verbesserung bei niedrigen Löhnen für notwendig, um Armut trotz Arbeit zu verhindern. Da auch wir den Wert der Tarifautonomie schätzen, werden wir selbstverständlich nicht in die konkreten Lohnvereinbarungen eingreifen, sondern die Leitplanken und Rahmenbedingungen wettbewerbsneutral für alle gleichermaßen nachjustieren.
7. Seit Jahren besteht bundesweit das Problem, dass Unternehmen immer weniger ausreichend qualifizierte Schulabgänger für die Berufsausbildung finden. Wohlwissend, dass Schulbildung Ländersache ist, was planen Sie, um sie auf das Niveau der Unternehmensanforderungen auszurichten?
Alle Schüler*innen sollen die Schule mit einem Abschluss verlassen. Wir setzen uns für eine Investitionsoffensive für gute Schulen und mehr Bildungsgerechtigkeit ein. Wir GRÜNE wollen einen individuellen Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung und -betreuung mit starken Qualitätsstandards umsetzen. Den DigitalPakt Schule wollen wir weiterentwickeln und die Digitalisierung im Klassenzimmer verlässlich fördern. Schulen in benachteiligten Regionen und Quartieren wollen wir besonders unterstützen. Wir investieren in moderne Räume und fördern multiprofessionelle Teams, in denen Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und Erzieher*innen Schüler*innen bestmöglich fördern können. Mit einer Ausbildungsgarantie wollen wir allen jungen Menschen eine Ausbildung ermöglichen. Dafür fördern wir außer- und überbetriebliche Ausbildungen und sorgen für mehr Unterstützung im Betrieb. Für gute Beratung aus einer Hand und unter einem Dach werden wir Jugendberufsagenturen stärken.
8. Ausufernde bürokratische Vorschriften belasten vor allem KMU. Welche Maßnahmen planen Sie zum Abbau von bürokratischen Hürden; insbesondere zur Reduzierung der umfangreichen statistischen, datenschutzrechtlichen und arbeitsrechtlichen Auskunfts- und Dokumentationspflichten?
Wir GRÜNE wollen die Abläufe und Regeln vereinfachen und so mehr Zeit für die eigentliche Arbeit schaffen. Digital und personell gut aufgestellte Verwaltungen ermöglichen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das sorgt auch für weniger Bürokratie. Nachweise und Unterlagen, über die Behörden bereits verfügen, sollen nicht erneut vorgelegt werden müssen. Wir wollen einfachere Regeln im Bereich Steuern: Anschaffungen bis 1.000 Euro sollen sofort abschreibbar sein und die Umsatzsteuer soll erst entrichtet werden müssen, wenn der Kunde bezahlt hat (für Unternehmen mit weniger als zwei Millionen Euro Jahresumsatz). Zur Entlastung von Kleinstunternehmen wird die Gewinngrenze für die Buchführungspflicht angehoben. Auch junge Unternehmen wollen wir besser unterstützen: In den ersten zwei Jahren befreien wir Gründungen weitgehend von Melde- und Berichtspflichten und bieten Information, Beratung und Anmeldung aus einer Hand an.